Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
für viele Themen hat sich die Corona-Pandemie bzw. die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung als Entwicklungsbeschleuniger erwiesen. Was in manchen Bereichen gut und überfällig ist, wie beispielsweise bei der Digitalisierung von Lernen und Arbeiten, ist in anderen Gebieten sehr schmerzhaft. Wer mit offenen Augen durch die kleinen und großen Städte in Sachsen geht, dem bietet sich immer häufiger ein Bild, das von leeren Schaufenstern geprägt ist.
Während manche Kleinstadt schon lange darunter leidet, stehen inzwischen selbst in den Großstädten und in den besseren, zentralen Lagen Läden leer. Und hinter jedem Geschäft, das schließen musste, steht die Geschichte eines Misserfolgs. Sei es die erfolglose Suche nach einer Geschäftsnachfolge für einen Handwerksbetrieb, ausbleibende Umsätze oder steigende Mieten, die nicht erwirtschaftet werden können.
Die Soforthilfen, die der Bund und der Freistaat Sachsen den Unternehmerinnen und Unternehmern gezahlt haben, aber auch die mögliche Stundung von Mietzahlungen, haben dazu beigetragen, Geschäfte und gastronomische Einrichtungen über die ganz kritischen Monate im Frühjahr zu bringen. Unternehmen, die schon vor Corona an der Grenze der Wirtschaftlichkeit gearbeitet haben, konnte das aber manchmal auch nicht vor der Schließung retten.
Eine gute Mischung aus kulturellen Angeboten, Cafés und Restaurants, sozialen Anlaufpunkten und einem vielfältigen Einzelhandelsangebot, am besten in verkehrsberuhigten Bereichen, ist Garant für lebendige Stadtteilzentren. Diese gute Mischung ist in Gefahr, sobald die ersten Geschäfte schließen müssen, denn häufig setzt dann ein Dominoeffekt ein. Die Ursachen dafür sind vielfältig, aber auch bekannt. Einerseits sind Stadtzentren seit den 90er Jahren unter erheblichem Konkurrenzdruck durch das Einkaufen auf der ‚grünen Wiese‘ – die großen Einkaufzentren an der Peripherie. Andererseits hat sich der Onlinehandel inzwischen so weit etabliert, dass ganze Sparten Gefahr laufen, sich vom bisher als normal geltenden stationären Handel verabschieden zu müssen.
Wir BÜNDNISGRÜNE glauben, dass man kluge Konzepte entwickeln muss, um lebendige Stadtzentren zu erhalten. An erster Stelle steht dabei die ansprechende Gestaltung des öffentlichen Raums. Denn nur da, wo ich mich gern aufhalte, werde ich flanieren, verweilen, einen Kaffee trinken und dann vielleicht ein gutes Buch oder eine schicke neue Mütze kaufen. Seit der Entstehung der ersten Fußgängerzone in Rotterdam in den 50er Jahren gibt es immer zuerst große Befürchtungen, dass Kunden ausbleiben würden und dann die Erkenntnis, dass die anliegenden Geschäfte genau davon profitieren, dass der Mensch Platz findet. Ebenso ist ausreichend untersucht, dass Kundinnen und Kunden, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad einkaufen, durchschnittlich sogar mehr Geld in den Geschäften lassen, als die motorisierte Kundschaft.
Zudem sollten wir die Folgen des Einkaufsverhaltens, das sich in den virtuellen Raum verlagert hat, stadtteilverträglich gestalten. Dezentrale Logistik- und Lieferkonzepte und neue Formen des Kaufens werden an Bedeutung gewinnen. Der Möbelriese IKEA hat beispielsweise im letzten Jahr in Paris mitten in der Stadt ein neues Konzept umgesetzt. Dort gibt es nur eine kleine Möbelausstellung, viel digitale Präsentation, dafür aber persönliche Beratung und eine emissionsfreie Lieferung nach Hause mit dem Lastenrad oder einem Elektrofahrzeug. Besonders in Fragen der Steuerpolitik sind die Schweden natürlich keine Vorbilder, aber zu Konzepten, die helfen, die Stadt zu beleben und das Umland vor weiterer Zersiedelung zu bewahren, sollten wir die Unternehmen in Sachsen ermutigen.
Ganz wichtig bei dieser Debatte bleibt, dass sich Menschen in ihren Städten und Dörfern Zuhause fühlen. Der Bäcker, bei dem man als Jugendlicher in der Hofpause immer das Käsebrötchen gekauft hat, die Kneipe, in der man seine Freundinnen und Freunde trifft, der Laden, in dem man vom ersten Gehalt das schicke Paar Schuhe gekauft hat – all das sind Lebenserinnerungen und Teil von positiver Ortsverbundenheit. Es geht hier nicht nur um vergleichsweise technische Fragen wie gesicherte Gewerbesteuereinnahmen oder eine ausreichende Versorgung mit Waren und Dienstleistungen. Es geht auch um den sozialen Zusammenhalt und Raum für zwischenmenschliche Begegnungen, der uns sehr fehlt, wenn er denn fehlt.
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