Meine Rede bei der Eröffnung des Projekts am 21. August 2025
Wenn man darüber nachdenkt, was das Schreiben einer Torah in Deutschland, in Sachsen, in Dresden, in einem weitestgehend säkularisierten Land bedeutet, kommen mir zahlreiche Gedanken in den Sinn.
Lassen Sie mich auf drei dieser Gedanken näher eingehen. Ich habe sie mal in Worte gefasst als das Verbindende, das Entschleunigende, das Transzendente.
Das Verbindende
Für Luther stand mit seiner Übersetzung der Bibel vom Lateinischen ins Deutsche immer das Mantra „sola scriptura“ „allein die Schrift zählt“ im Vordergrund.
Warum? Weil das geschriebene Wort das verbindliche Wort ist, weil es nachvollziehbar ist und von jedem gelesen werden kann, der es lesen kann.
Und weil es die Tradition den Ursprung der Religionen im besten Sinne durch die Zeiten trägt.
Im Islam wird in den Koranschulen der Koran ausgelegt und gelehrt, im Buddhismus sind die heiligen Lehren in Sutras zusammengefasst, in der jüdischen Religion spielte das Schreiben und die Schrift und die Auslegung derselben schon immer eine zentrale Rolle.
Das Schreiben einer Torah, die Tradition des Hindurchtragens (lat. Traducere) religiöser Gedanken durch die Zeiten verbindet alle Religionen und dass diese Tradition in Dresden wieder aufgenommen wird, in einer Stadt, in der vor 80 Jahren nahezu die gesamte jüdische Gemeinde durch die Verbrechen des Nationalsozialismus ausgelöscht wurde, hat auch etwas Verbindendes und ist für uns in Dresden als Landeshauptstadt von Sachsen eine große Ehre.
Das Entschleunigende
Wir leben in einer Zeit, in der das Schreiben mit der Hand fast schon wieder eine Rarität wird. In den Schulen rüsten wir um auf Tabletts; als ich meine Kinder jetzt zum Schuleingang fragte, warum die Schultasche so leer ist, bekam ich zur Antwort: Wir brauchen nur das Tablett und für die Bücher haben wir einen Link. Wir leben in einer Zeit von Optimierung, von schneller, höher, weiter.
Schreiben mit der Hand ist ein Akt der Entschleunigung. Ein Projekt, ein Buch über so lange Zeit zu schreiben und jedem einzelnen Buchstaben ein Gewicht zu geben, ist eine Art der Verweigerung an den rastlosen Zeitgeist.
Ich glaube ganz fest, dass wir unser Leben wieder mehr in eine Balance zwischen Aktivität und Besinnung bringen müssen, auch um zu erkennen, was wirklich wichtig ist. Und auf welchen selbstverständlich gewordenen materiellen Luxus wir verzichten könnten, der am Ende die ökologischen Grundlagen unseres Planeten zerstört.
Der Mönch im Mittelalter unterschied sehr bewusst zwischen Vita activa – dem tätigen Leben – und der Vita contemplativa – dem betrachtenden Leben. Dieses langsame Schreiben ist eine Aufforderung zur Vita contemplativa.
Das Transzendente
Die ewige Schrift. An Nichts scheitert der Mensch gedanklich mehr als am Gedanken der Ewigkeit oder dem Nachdenken über Ewigkeit. Alles, was wir im täglichen Leben kennen, hat ein Maß, ist eingeteilt, zeitlich begrenzt und letztendlich endlich.
Das Ewige, die ewige Schrift, verspricht etwas, was über der Zeit steht, etwas Zeitloses, was über den irdischen Maßstab unseres täglichen Erlebens hinausgeht.
Transzendenz beschreibt die Grenzen menschlicher Erfahrung und verweist auf alles, was wir nicht fassen können.
Das Entscheidende daran ist, es bringt unsere Gedanken und Gefühle in Bewegung, indem es über uns hinausgeht, und im Nachdenken darüber können wir uns fragen, was wir sind als kleine Menschen in diesem riesigen Kosmos, dessen Grenzen wir nicht kennen.
Hier schließt sich der Bogen zu meiner Eingangsbemerkung vom Schreiben der Torah in einem der säkularisiertesten Teile der Welt. Dieses Projekt ist auch ein Angebot zum Nachdenken über Spiritualität, Religion und den Wert des Menschseins.
In einer Zeit, in der Menschenrechte überall auf der Welt in Frage gestellt werden, ist dieses Projekt eine wunderbare Idee.
Ich wünsche allen Beteiligten und Ihnen als jüdische Kultusgemeinde zu Dresden alles Gute und bedanke mich noch einmal herzlich für die Einladung.