Rede von Thomas Löser. Es gilt das gesprochene Wort.
Springer-Vorstandsvorsitzender Herr Döpfner hat, in Privatnachrichten, Einblick in seine „emotionale Blitzableiterfunktion“ gegeben und dabei offenbart, wie er über bestimmte Themen denkt.
Man glaubt ja immer die Bild-Zeitung sei – euphemistisch formuliert -schon relativ „direkt“ und ungefiltert „nah“ dran am Gefühlsleben der Menschen, aber nein, es geht immer noch ehrlicher.
Herr Döpfner hat nebenbei bemerkt, nicht nur alle sogenannten „Ostdeutschen“ als „Faschisten“ oder „Linksradikale“ diskreditiert, er hat Minderheiten verunglimpft, die parlamentarische Demokratie in Frage gestellt und er hält die ehemalige Bundeskanzlerin Frau Merkel für „irre und gefährlich“. Und wir erfahren, dass bei der Bild journalistische Beiträge so eine Art „Werbeanzeigen“ für die FDP sind.
Nun ist das ja bei der BILD-Zeitung nichts Neues. Und spätestens seit dem Erscheinen von Heinrich Bölls Buch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ im Jahr 1974 weiß die deutsche Öffentlichkeit, wie es um Recherchewahrheit oder einfach nur Anstand bei BILD steht.
Auch kann ich gern, wenn es interessiert, kurz zur Kenntnis geben, was die BILD letzte Woche so an Schlagzeilen in Richtung Wirtschaftsminister Robert Habeck von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN verbreitet hat:
„Heiz-Hammer ist Atombome für unser Land“, „Heizhammer sprengt den Sozialstaat“, „Unsere Mieten werden explodieren“.
Atombombe, sprengen, explodieren – das sind so die bevorzugten Wortschöpfungen Richtung GRÜNE und den einen oder die andere habe ich ja bei diesen Worten auch schon gedanklich anerkennend nicken hören und freue mich, wie sie sich dann gleich alle gemeinsam über diesen unmöglichen Herren Döpfner aufregen.
Und wo wir gerade dabei sind: Auch unser verehrter Herr Ministerpräsident (MP) war sich ja in der Wochenendausgabe der BILD-Zeitung nicht zu schade, ähnlich martialische Worte in Richtung GRÜNE zu finden.
Ich zitiere: „Die Politik der Grünen ist ökologischer Irrsinn.“ „Die Pläne dieser Regierung führen zu Aufruhr in der Bevölkerung.“ „Die Menschen wenden sich ab, weil sie Angst bekommen.“
Das vor dem Hintergrund einer anhaltend hohen Bedrohungslage in GRÜNEN Abgeordnetenbüros und mittlerweile wöchentlicher Angriffe auf GRÜNE Büros.
Aber es ist doch klar, was so viel Angst macht. Bei so viel Irrsinn, bei so viel Grund zur Aufruhr, da wird man sich doch als Bürger noch wehren dürfen. Ist ja bloß der Koalitionspartner in Sachsen der den MP nebenbei bemerkt mitgewählt hat. Was glaubt der MP eigentlich, wer ihn das nächste Mal wieder ins Amt wählt?
Nun bin ich ja ehrlicherweise weit abgeschweift, denn ich wollte eigentlich nur die Frage stellen, warum regt uns denn der Herr Döpfner so auf mit seinem Ost-Bashing? Denn neu ist ja auch das alles nicht.
Es regt uns auf, weil es genau das ist, was in Dirk Oschmanns Buch „Der Osten eine westdeutsche Erfindung“ als immer wieder kehrende journalistische Abwertungsbeschreibungen des „Ostens“, der dann meistens als ganz besonders schlimmen Osten – Sachsen – meint, gezeichnet wird.
Herr Döpfner tut uns ja geradezu eine Woche nach Erscheinen des Buches von Dirk Oschmann den Gefallen, genau dieses Vorurteil zu bestätigen. Bessere Werbung geht nicht und das, obwohl das Buch schon vorher zum Beststeller avancierte und in zahlreichen Zeitungen besprochen wurde.
Bevor ich zu den Thesen aus Oschmanns Buch komme, will ich noch einmal den Begriff „Ostdeutschland“ hinterfragen. Ich selbst bin 1972 geboren, ich war im Jahr 1989 17 Jahre alt und habe mich nie vordergründig als Ostdeutscher gesehen. Abgesehen von den eher nervigen Ossi-Retrowellen habe ich das immer als Nachwendekonstruktion verstanden.
Ich nehme aber wahr, es gibt eine Debatte zu dem Thema auch in der jungen Generation im Osten. Ich habe mal unsere Tochter (16 Jahre alt) gefragt, ob sie mit dem Begriff Ostdeutschland etwas anfangen kann, oder ob es in ihrer Generation in der Selbstbeschreibung eine Rolle spielt.
Ihre Antwort war schlicht und ergreifend „Ja“, vor allem, wenn sie in Westdeutschland ist und mit permanent krassen Vorurteilen, wie „Bist du auch, wie alle Ossis, ein Nazi? Sind deine Eltern Nazis?“ konfrontiert wird.
Zum Glück kann sie da immer glaubhaft „NEIN!“ sagen, aber klar wird, es ist eine Abwehrdiskussion und ostdeutsche Herkunft wird als Makel beschrieben. Die alte Hoffnung „Wir warten einfach mal 30 Jahre ab und das Ostproblem erledigt sich von selbst“ geht also nicht auf.
An welchen politischen Problemfeldern macht Dirk Oschmann nun die Debatte auf und beschreibt strukturelle Benachteiligungen des Ostens?
Einkommensunterschiede zwischen Ost und West : im Osten verdienen wir 22 % weniger und das 33 Jahre nach der Einheit.
Besitz und Vermögen, Vererbung, Immobilien: In Dresden gehören knapp 40 % der Immobilien Westdeutschen, in Leipzig ist dieser Anteil sogar deutlich mehr, das stelle man sich mal in München vor.
Die Besetzung von Führungspositionen in Hochschulen, Unternehmen, Vorstandposten
einseitige Berichterstattung in führenden deutschlandweiten Medien über den Osten
Interessant ist ja was machen wir mit diesen Feststellungen? Was leiten wir politisch dazu ab? Eines aber, das ist mir wichtig jetzt schon zu sagen: Bitte kein pauschales „Wessi“-Bashing. Denn es gibt unzählige „Wessis“, die sich hier im Osten für Sachsen und für die Demokratie stark machen. Was sind konkrete politische Vorschläge mit denen wir an die Verbesserung der Situation der strukturellen Benachteiligung des Ostens gehen?
Thema Lohnunterschied, Vermögen:
Wir BÜNDNISGRÜNE wollen Stärkung der Arbeitnehmerinnen. Die Stärkung der Tarifbindung. Sachsen darf kein Billiglohnland bleiben. Dann kann auch Vermögen aufgebaut werden.
Konkret haben wir als GRÜNE den DDR-Renten-Härtefallfonds unterstützt, leider gab es hier keine Mehrheit
Ansiedlung von mehr Bundeseinrichtungen in Ostdeutschland, denn gute Löhne in öffentlicher Hand haben auch Vorbildwirkung auf die freie Wirtschaft
Thema Wohneigentum
Wir wollen die Stärkung der Eigentumsquote. Wir unterstützen das Thema Wohneigentumsbildung, das tut die Koalition bereits.
Thema Repräsentanz, Führungsposition
Das ist ein sehr wichtiges Thema, denn es ist klar, durch Unterrepräsentanz fühlen sich viele nicht abgebildet und es fällt leicht das Narrativ „Die da oben“ zu bedienen und sich aus Gesellschaft aktiv oder passiv zurückzuziehen.
Da kommen wir zur heiklen Frage Quote: Wer ist Ostdeutsch? Wann ist man Ostdeutsch? Die Definition müsste ja gerichtsfest sein. Denn es geht um Einstellungsverfahren zum Beispiel an Hochschulen.
Wir verweisen auf das Konzept des Ostbeauftragten der Bundesregierung „Mehr Ostdeutsche in Führungspositionen“ Carsten Schneider vom Januar 2023. Wichtig sind dabei die Handlungsaufträge für die Bundeländer.
Außerdem glaube ich persönlich, sollten wir gesamtdeutsch über Symbolik der Wiedervereinigung reden. So war 1990 eine gesamtdeutsche Verfassung versprochen, die ist nie gekommen, die Frage nach der Hymne, die Frage von gemeinsamen Feiertagen.
Abschließend zwei Gedanken
Wir im Osten lebende sollten selbstbewusst durch die Welt gehen, denn wir haben Transformationserfahrung. Und statt beispielsweise die Energiewende schlecht zu reden, sollten wir die Chancen beschreiben. Sachsen war schon immer stark vor allem in Zeiten der Transformation.
Und wenn es in Sachsen normal ist, dass meine Kollege aus dem Bundestag Kassem Taher Saleh sagt, er ist Sachse und Muslim aus Ostdeutschland und das mit seinem herrlichen „Nu glar“ versieht, dann leben wir in dem Sachsen wie ich es mir wünsche, weltoffen, tolerant, demokratisch, nachdenklich und selbstbewusst